Brexit – Wutrede einer Alten

Nach der Entscheidung der Briten, der EU nicht mehr angehören zu wollen, haben die EU-Befürworter offensichtlich ein neues Feindbild entwickelt. Dies hat eines unserer älteren Mitglieder zu einer Wutrede bzw. Wutschrift veranlasst, deren Inhalt wir Ihnen nicht vorenthalten wollen:

Nach Bekanntwerden des Brexit gab es bei den EU-Befürwortern reihenweise bestürzte, versteinerte Gesichter und ratlose bis empörte Kommentare, die nahtlos an das anschlossen, was seit Wochen auf die EU-Kritiker heruntergeprasselt war: Katastrophenszenarien bis hin zum Ende der europäischen Zivilisation und ein ungeheurer moralischer Druck gegen jeden unbotmäßigen Gedanken an Auflehnung oder gar eine Ablehnung des segensreichen Wirkens der EU-Machthaber. Spätestens jetzt hätten Draghi, Juncker, Schulz, Merkel & Co. einsehen müssen, dass die Fehlkonstruktion EU samt Euro dringend auf den Prüfstand gehört.

Ein paar naive Gemüter hoffen tatsächlich, die EU sei reformierbar und werde kritisch unter die Lupe genommen. Doch auch hier stellt sich die berühmte Frage: Wer kontrolliert die Kontrolleure? Die Frage scheint überflüssig zu sein, denn erste Verlautbarungen der Brüsseler Betonköpfe deuten eher auf ein trotziges „Jetzt erst recht“ als auf selbstkritisches Einlenken hin. Die bornierte Sturheit, mit der die Entmündigung der europäischen Nationalstaaten ungerührt vorangetrieben werden soll, muss uns alarmieren, wenn wir uns nicht endgültig die kümmerlichen Reste unserer Souveränität nehmen lassen wollen.

Aber verlieren wir bitte nicht aus dem Blick, mit welcher perfiden Strategie ein Heer von Demagogen den Brexit neuerdings umdeutet und damit einen weiteren Keil tief zwischen die Generationen treibt: Einerseits wird klargestellt, dass es keine gravierenden Fehler oder Versäumnisse im EU-System gibt, mit denen sich die ungeheuerliche Entscheidung für den Brexit entschuldigen ließe. Ein Schuldiger, an dem man sich ungehindert abarbeiten kann, muss aber her. Und wer wäre besser geeignet als diese lästigen Alten, die zum Glück keine Lobby haben und ohnehin nur nutzlose Kostgänger = Schmarotzer sind, aber leider trotz ihres krankhaften Altersstarrsinns noch wählen dürfen? Das haben die Briten nun davon: Ihre störrischen, rückwärtsgewandten Alten haben mehrheitlich den Brexit „verschuldet“ und damit der jungen Generation „die Zukunft verbaut“! Eine derart pauschale Schuldzuweisung in dieser Schärfe zielt eindeutig darauf ab, an den Grenzen zwischen Gutwilligen und gefährlichem Pack eine neue Kampflinie zu ziehen, an der sich verbohrte alte Skeptiker und aufgeschlossene junge EU- Begeisterte gegenüberstehen.

Vielleicht sollte ich als alter Mensch Abbitte bei den jungen Leuten leisten, weil nach meiner Wahrnehmung deren bevorzugte Standardantwort „Keine Ahnung!“ ist? Vielleicht starren sie gar nicht wie hypnotisiert auf ihre Smartphones, um Belanglosigkeiten zu verbreiten, sondern tauschen sich besorgt darüber aus, dass die Verhandlungen über CETA und TTIP hinter verschlossenen Türen forciert werden, dass die Sparguthaben ihrer Eltern und Großeltern (an denen sie partipizieren) von einer raffgierigen Finanzpolitik verpfändet und aufgefressen werden; dass ihre Generation in einen neuen Krieg getrieben werden könnte? Vielleicht bedeutet ihr Hauptinteresse für „Party und Spaß haben“ in Wirklichkeit etwas ganz anderes, etwas höchst Verantwortungsvolles, dem sich mein seniler, widerborstiger Geist vertrauensvoll überlassen sollte. Aber er lässt sich nunmal nicht von Jubelpropaganda überzeugen. Stattdessen protestiert meine innere Stimme, wenn Demagogen die Lebenserfahrungen und Lebensleistungen meiner Generation verächtlich behandeln und uns zum Feindbild unserer Kinder und Enkel machen wollen.