EU – Ernsthaft oder Unterhaltung?

Unser Gastautor Rocco Burggraf über die notwendige Rückkehr zur Ernshaftigkeit in der Politik:

Suggestivfrage – Was haben Walter-Niemand-hat-die Absicht-Ulbricht, Stotter-Mielke, Zigarren-Schröder, Party-Wowereit, Buchhändler Schulz, Ischias-Juncker, Karnevalsprinz Laschet, Henriette-Spitzendeckchen-Reker und die schier endlose, grüne Reihe infantiler Laiendarsteller gemeinsam?

Die Antwort mag erstaunen. Sie sind als Politiker allesamt die Ergebnisse unseres eigenen, mangelnden Gestaltungswillens und Engagements. Ausdruck schwindender Empathie, fehlenden Zusammenhalts und naiver Sorglosigkeit. Wenn es bei den Jägern und Sammlern noch galt, den stärksten, schnellsten oder Vorausschauendsten (Frauen waren noch keine Sozialkonstrukte) zum Anführer zu küren, so laufen die Dinge seit längerem anders.

Wir, die Wähler, haben irgendwann entschieden, dass Politik getrost vom E(rnsthaften)-Bereich in den U(nterhaltungs)-Bereich verschoben werden kann, also in etwa in eine Reihe mit der Bundesliga gehört, um von da aus Stoff für Staatsfunk, Stammtisch und Feuilleton zu liefern. Politik ist seither keine Frage von Programmatik, sondern bestenfalls eine von Stil und Milieu. Getragen von Sym- oder Antipathien, Gesichtern, Frisuren, Gewohnheiten schreiten Bürger zur Urne um ihre letztlichen Möglichkeiten friedlich beizusetzen.

Der Werdegang von Politikern ist deshalb heute weder von herausragenden Schulabschlüssen, besonderen beruflichen Erfolgen oder wenigstens überdurchschnittlicher Intelligenz begleitet. Inzwischen ist sogar das Aussehen zweitrangig. Zwar muss man überall „Gesicht zeigen!“, aber offenbar sieht niemand hin. Wenn im Fußball vor allem das Runde ins Eckige muss, verschwindet in der Politik alles Eckige im Runden. Das Erfolgsrezept liegt im Minimieren von Angriffsfläche. Erwünscht ist eine Blässe, die es dem Wähler ermöglicht, sich wiederzuerkennen.

Auf der politischen Karriereleiter steigt deshalb vor allem empor, wer Geduld hat, mitschwimmen, abwarten, aushalten kann. Wer dann noch fähig ist, seine Person mit dem Zeitgeist, einer definierbaren Zielgruppe und medialer Dauerpräsenz zu verknüpfen, wird unweigerlich ganz oben ankommen im Konstrukt Demokratie. Hier in der No-Go-Area der Vernunft, der Parallelgesellschaft des Kompromisses, des seiernden Ausgleichs und der simulierten Empathie gehen die Uhren anders. Langsamer vorallem. Das höchste der hier erreichbaren Ziele ist das Mittelmaß. Erreicht wird zumeist weniger. Der kleinste gemeinsame Nenner. Immer öfter nicht einmal das. In einer Enklave in der selbst die Völlerei Diät heißt, ist das verschmerzbar.

Nicht Visionäre, Denker und Gestalter versammeln sich in der alles andere als elitären Gesellschaft, sondern immer mehr Klein- und Spießbürger, Bedürftigkeitsmakler. Krämerseelen, denen selbst zur ihnen gern unterstellten globalen Verschwörung jedes Format fehlt. Ganz in der Logik des erfolgten Kulturwandels von E zu U liegt es, dass man in den Kreisen der neuentdeckten Langsamkeit, vermutlich der inneren Stille und Leere wegen, nicht mehr den Berliner Philharmonikern lauscht, sondern Feine Sahne Fischfilet.

Das alles sind keine neuen Erkenntnisse. Wer Imelda Marcos‘ Schuhe sich hat vorzählen lassen, wer durch Wandlitz lief, Ceaucescus Fellmütze im Dreck liegen sah oder wer auch nur davon Kenntnis nimmt, das eine der Blasphemie beschuldigte Christin heute eine 200 Millionen starke Atommacht in einen einzigen schreienden, fuchtelnden Mob verwandelt – so, dass sich sogar das heilige deutsche Asylrecht in ein einziges, eisiges Schweigen verwandelt – der sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass es Moral, Gerechtigkeit, Entschlossenheit und Verantwortung wären, die sich als Richtlinien politischen Handelns über die Zeit gerettet hätten. Sie dienen vielleicht hier und da als Mittel zum Zweck, als Verpackung und Verkaufsargument, mit ziemlicher Sicherheit aber nicht als Ausweis irgendeiner nennenswerten inneren Größe, Überparteilichkeit oder gar Verantwortung. Es sind vor allem die Geister, die wir nicht riefen sondern durch Sorglosigkeit zuließen, die wir nun nicht loswerden. Kleingeister.

Wenn es im Kleinstaatenverbund Deutschland als Nukleus eines zusammengenagelten Europa so etwas wie einen Zukunftsplan gäbe, dann könnte man ihn vermutlich darlegen, erklären oder gar zur Abstimmung stellen. Dass dies nicht geschieht, ist nicht eine Frage mangelnder Kommunikation sondern Beleg völliger Ratlosigkeit. Während globalistische, durch nichts legitimierte Organisationen, finanziert aus völlig intransparenten Quellen, in einem Akt von Größenwahn wie an der Spielkonsole an einer Neuverteilung der Weltbevölkerung werkeln, torkelt ein von Rissen durchzogenes Europa dem kulturellen und ökonomischen Absturz entgegen. So wie sein oberster Vertreter auf der Weltbühne seinen Gästen.

Das aber haben nicht DIE DA OBEN sondern WIR HIER UNTEN zu verantworten. Man darf eine Prognose wagen. Wir alle, Wähler und Nichtwähler. Linke, Rechte, Liberale, Eindeutige und Diverse, Jung und Alt, werden in allernächster Zukunft in uns ein Gefühl aufkeimen sehen, dass sich in der Geschichte immer dann einstellt, wenn die Verhältnisse sich umkehren, die Dinge neu ordnen, wenn Schuldige und Helden gesucht, Ursachen und Wirkungen im Rückblick gänzlich neu bewertet werden müssen. Niemand wird triumphieren. Wenn die Rauchschwaden sich verzogen haben, in einem lichten Moment also, werden wir mit wütendem Erstaunen oder wenigstens betreten zur Kenntnis nehmen, welch jämmerlichen Figuren wir unser Schicksal anvertraut haben. Gleichzeitig werden wir im Begriff sein zu verdrängen, wer ihnen zum Aufstieg und dann zum Immerweiterso verholfen hat. Wer ihnen trotz immer neuer, katastrophaler Fehlleistungen, trotz kopfschüttelnder Freunde und auftrumpfender Feinde bis zuletzt zugetraut hat, unsere vielbeschworene Art – also die aller friedlich hier zusammen lebenden Menschen – schützen zu können.

Die leise Hoffnung, das Ruder doch noch herumzureißen, besteht darin, so jedenfalls könnte man die vielen, als Populismus gegeißelten Anzeichen erwachender Vernunft deuten, dass die zuvor Zweifelnden, die Zauderer, die Uninteressierten und Gleichmütigen nun endlich versuchen, Politik wieder von dem Unterhaltungsbereich in den Ernstahfaten Bereich zurückzuholen. E wie Ernstfall. Das Scheitern des Pakts für Migration wäre ein erstes Ergebnis.