Entmündigung einer Viertelmillion Thüringer

Disenfranchisement bezeichnet in der politikwissenschaftlichen Literatur den Entzug des Wahlrechts. In den USA ziehen bestimmte Straftaten den Entzug des Wahlrechts, das disenfranchisement, nach sich. Im Vereinigten Königreich sind Strafgefangene generell von der Ausübung ihres Wahlrechts ausgeschlossen. In Deutschland ist von der Ausübung des Wahlrechts ausgeschlossen, wer durch Richterspruch ausgeschlossen wurde. Neben den (sehr wenigen) Bürgern, denen Richter ihr Wahlrecht aberkannt haben, finden sich noch diejenigen, die entmündigt wurden.

Nun haben die etablierten deutschen Parteien, die in den letzten Jahren immer mehr zu einem kaum mehr unterscheidbaren Brei verschmolzen sind, eine neue Methode gefunden, um Wähler, von denen sie der Ansicht sind, sie hätten die falsche Partei gewählt, effektiv von ihrem Wahlrecht auszuschließen.

259.382 Thüringer “Wähler” der AfD hat dieses Schicksal ereilt. Sie wurden effektiv ihres Wahlrechts beraubt und mit Personen auf eine Stufe gestellt, denen ein Richter das Wahlrecht entzogen hat oder die entmündigt wurden. Diese negative Konsequenz des Trommelfeuers, das sich seit gestern über die Thüringer Abgeordneten ergossen hat, die doch tatsächlich der Ansicht waren, sie seien in erster Linie ihrem Gewissen und in zweiter Linie ihren Wählern verantwortlich, hat bislang niemand angesprochen. Deshalb machen wir das.

Die Ausgrenzung der AfD und damit zwangsläufig ihrer Wähler, die konzertierte Aktion der Blockparteien in Bonn, die gesammelt über die Abgeordneten in Thüringen hergefallen sind, die sich das Recht genommen haben, selbstbestimmt zu handeln, sie trägt alle Züge eines totalitären Systems, eines totalitären Systems, in dem die Despotie derer, die sich in der Mehrheit wähnen, jeden Ansatz von Abweichung radikal unterdrückt. Unterstützt werden die Totengräber eines demokratischen Systems, das zwischenzeitlich zur Travestie geworden ist, von einem Straßenmob, der sofort mobilisiert werden kann, ganz so als hätte er nichts anderes zu tun oder würde auf Abruf bereit stehen, ganz so, wie es zum Ende der Weimarer Republik die Banden von SA und Rotem Frontkämpferbund gab, die – weil weitgehend aus Arbeitslosen bestückt – sofort zur Hand waren, um den politischen Gegner handfest zu bekämpfen, so wie heute der arme Thomas Kemmerich bekämpft, bedroht und sein Eigentum beschädigt wird. Insofern und nur insofern gleich die heutige Travestie auf Demokratie den letzten Tagen der Weimarer Republik.

Der entscheidende Unterschied zwischen heute und damals besteht darin, dass eine politische Clique, die sich quer über die etablierten Parteien findet, die politischen Ressourcen monopolisiert hat und jeden, der ihre Machtergreifung in Frage stellt, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, von der Denunziation bis zur Mobilmachung des Straßenmobs bekämpft. Ein durch und durch totalitäres und durch und durch antidemokratisches Verhalten derer, die sich den Staat zur Beute gemacht haben, wie Hans Herbert von Arnim das einst ausgedrückt hat. Anthony Downs hat die Angleichung politischer Inhalte in einem Mehrparteiensystem, die dazu führt, dass man Bündnis90/CDU und Die LINKE/DieGrünen nicht mehr voneinander unterscheiden kann, schon in den 1960er Jahren vorhergesagt. Was er nicht vorhergesagt hat, weil es nicht Gegenstand seiner Forschung war, war das, was Erwin Scheuch für die Kölner SPD und den Klüngel, der entsteht, wenn eine Partei zu lange unangefochten “in office” ist, beschrieben hat: Politische Korruption in einem Ausmaß, das jeden Erforscher politischer Systeme erstaunen muss, weil es selbst die Korruption übertrifft, die man aus Bananenrepubliken kennt, in denen nichts ohne die kleine Zusatzzahlung zu erreichen ist.

Indes ist die politische Korruption der Einheitsbreiparteien in Deutschland nicht nur eine Korruption der Position, der Ressourcen, der Selbstbereicherung, des Verkaufs politischer Gefallen und der Bereicherung der eigenen Klientel, es ist eine viel gefährlichere Korruption, eine übergriffige Korruption, eine imperialistische Korruption, die eine Form des Gesinnungskolonialismus durchsetzen will, der in seinem Anspruch totalitär und in seiner Wirkung demokratiezersetzend ist. Wann hätte es das je gegeben, dass sich ein Bundeskanzler in die Wahl eines Ministerpräsidenten in einem Bundesland einmischt? Die entsprechende Wahl geht ihn einen feuchten Kehricht an. Dass Merkel das entweder nicht weiß oder ignoriert, ist der beste Beleg, den man dafür haben kann, dass es a) besagten Gesinnungskolonialismus gibt und b) die politische Klasse sich in einem Echozimmer verbunkert hat, in dem sie einer Form von Realitätsverlust frönt, die man aus dem Zentralkomitee der SED kennt und die nur in die Katastrophe führen kann.

Die “guten Demokraten”, die es nun erreicht haben, dass ein gewählter Ministerpräsident angesichts der Anfeindungen und Übergriffe, angesichts des Drucks, der auf ihn und seine kleine Fraktion ausgeübt wird, zurücktritt, sie können sich freuen. Sie haben wieder einmal gezeigt, dass in der deutschen Variante einer Demokratie kein Platz für echte Demokratie ist. Ausgerechnet das politische System, das wie kein anderes von Veränderung lebt, wird von den Netzwerken politischer Korruption, die sich gegenseitig die Ressourcen zuschieben, daran gehindert, sich zu verändern und damit zerstört.

Die Bereicherung und das Ausleben des Totalitarismus, der mit einem gehörigen Maß von Selbstüberschätzung einhergeht, hat nun eine Situation geschaffen, die 259.382 Thüringern die Meldung sendet: Ihr seid Ausschuss. Euch und eure Gewählten wollen wir nicht. Ihr seid nicht Teil des politischen Systems, nicht Teil der Gesellschaft und schon gar nicht gleichwertige Wähler im politischen System. Ihr seid politischer Ausschuss.

Was denken die Selbstgerechten von Merkel bis Habeck und von den SPD-Stalinisten bis zum angeblich liberalen Lindner, wenn sie Teile der Wählerschaft so beschimpfen und ausgrenzen, erreichen zu können? Was erwarten sie, dass Wähler, die durch ihre Wahl bereits eine Distanz zu etablierten Parteien im politischen System zum Ausdruck gebracht haben, nun tun? Noch weiter auf Distanz gehen? Erst recht die AfD wählen? Sich bewaffnen? Eine Wählerinitiative zu Gunsten der AfD gründen?

Was auch immer die Vertreter der Altparteien mit ihrem Totalitätsanspruch verbinden, eines ist sicher: Menschen, denen man explizit sagt, dass sie falsch sind, dass sie nicht dieselben Grundrechte haben, dass sie politisch nicht gleichberechtigt sind, dass ihre Wahlentscheidung der eines Entmündigten gleicht, der eben kein Wahlrecht hat, werden sicherlich nicht positiv darauf reagieren. Sie werden nicht bei der nächsten Wahl in den Hafen der Altparteien zurückkehren und deren Wahlkampfkostenerstattung erhöhen. Die Wahl für die zum Wahlausschuss Erklärten besteht zwischen Anomie / Abstinenz und Renitenz. Ersteres geht mit einer De-Legitimation des politischen Systems einher, Letzteres mit einer De-Legitimation der Altparteien und/oder des politischen Systems, mit verstärktem politischem Aktivismus oder mit einer Verhärtung der eigenen Haltung. Letzteres ist der Stoff, aus dem (gewalttätiger) Widerstand gemacht ist, alles zusammen ist der Zündstoff, der die letzten Reste dessen, was vor Merkel eine Demokratie war und seitdem zu einem kommunistischen Shithole entwickelt wird, beseitigen kann. Entweder Merkel und ihresgleichen wollen provozieren, in der Hoffnung, Gewalttaten zu initiieren oder sie wissen nicht was sie tun. In beiden Fällen ist es unverantwortlich, solchen Personen Regierungsverantwortung zu übergeben.

Die Geschichte wird die Unterscheidung indes nicht treffen. Im Rückblick werden Merkel und ihre Helfershelfer für den Niedergang des zweiten demokratischen deutschen Versuchs verantwortlich gemacht werden, und zwar zurecht.

Studenten der Politikwissenschaft stolpern zuweilen über das Buch “The Civic Culture” von Gabriel Almond und Sidney Verba. Darin breiten die beiden Autoren das Konzept einer Zivilgesellschaft und dessen Bestandteile aus, das aus ihrer Sicht notwendig, um eine Demokratie dauerhaft zu machen. Almond und Verba hatten in den 1960er Jahren die – wie sie meinten – berechtigte Hoffnung, dass die deutsche Gesellschaft die Grundlagen einer Zivilgesellschaft schaffen könnte. Diese Hoffnung kann man getrost begraben. Denn: Die wichtigste Zutat einer Zivilgesellschaft ist  das Vorhandensein von abweichenden Meinungen und die Toleranz gegenüber ALLEN Meinungen.

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